Zur Ausstellung der bekennenden Stalinistin Frida Kahlo in Berlin

„Guten Tag, mein Herr, ich bin von der Touristenpolizei. Ich vermute, dass ich Ihnen helfen kann.“ Der Beamte mit den silbernen Applikationen an der schwarzen Uniform war zielsicher auf mich zugekommen, der ich unschlüssig im Menschengewühl von Mexiko-Stadt stehe. Nun, ja wo er schon einmal da war und mich ansprach, kann ich ihm das Problem auch schildern. „Also, ich will zum Museum der Malerin Frida Kahlo, das ist laut Reiseführer in der Londoner Straße (calle Londres) Nummer 127. Wir stehen in der calle Londres Nummer 127, aber ich finde kein Museum weit und breit.“ Das kann der Touristenbeamte sofort auflösen: „Gemeint ist die calle Londres im Stadtteil Coyoacán. Das hier aber ist die calle Londres des Stadtzentrums.“

Ob London oder Goethe

Na sicher doch. Mexiko-Stadt ist ein ungeheurer Bottich, und wer weiß, ob es nicht noch mehr Londoner Straßen als diese beiden gibt. So außerordentlich mexikanisch ist diese Problematik übrigens auch wieder nicht, im Berliner Stadtplan stehen schließlich auch eine Hand voll Goethestraßen.

Im Bannkreis des Kojoten

Die U-Bahn bringt den Suchenden zum Stadtteil Coyoacàn, was übersetzt übrigens „Der Kojote“ heißt. Hier steht eis einstige Wohnhaus und Museum des später ermordeten Sowjetrevolutionärs Leo Trotzki  - und unweit davon liegt das das Anwesen der 1907 geborenen Malerin Frida Kahlo. Ein halbstündiger Spaziergang durch eine grüne, ruhige Mittelstandsgegend trennt vom Ziel. Mit den ausgedehnten Slumregionen, welche die mit 30 Millionen Menschen größte Stadt der Welt säumen, hat das hier wenig zu tun. Frida und Leo hatten sich nicht gerade ein Elendsviertel ausgesucht. Ich frage mich durch und sehe, eine Einlass begehrende Besuchergruppe rüttelt schon am grünen Tor zu Fridas blaugestrichenem Anwesen. Und dann geht es hinein.

Immer mal wieder ein Star

Frida, du hast um unsre Not gewusst. Die mexikanische Malerin reüssiert gerade mal wieder in Europa - in Deutschland sind Frida-Kahlo-Kalender und -Bildbände gutgängige Waren. Im Berliner Martin-Gropius-Bau wird ab April eine Retrospektive ihrer Arbeit zu sehen sein. In Zusammenarbeit mit dem Wiener Kunstforum und gefördert von der Mexikanischen Regierung. Fridas  Vorfahren kamen aus Deutschland, sie selbst jedoch brach mit der europaorientierten Malschule und ließ mexikanisches Licht auf ihren Bildern zu.

Bekennende Stalinistin mit guten Gründen

Der Besuch im Frida-Kahlo-Museum lässt intime Einblicke sowohl in die Frau als Künstlerin als auch als Privat- und politisches Wesen zu. Wer sich übers Bett die Porträtgalerie Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao hängt, der muss es erst meinen und einverstanden sei. Frida war es. Und mich macht nur der Gedanke zornig, wie „überlegen“ sich viele Besucher ihr gegenüber dünken werden. Die Mexikaner bringen für die europäischen Bandenkämpfe wenig Interesse auf, und sie ließen in dieser Wohnung alles unberührt und eben so, wie es lag und stand, als Frieda 1954 starb. Man darf getrost bezweifeln, dass es ihr in Deutschland ähnlich ergangen wäre. Denn die Staffelei trägt das letzte, das unvollendete Bild von ihr. Es ist – ein Stalin-Porträt. Davor der verlassene Rollstuhl der Frida Kahlo, ein umwerfender Anblick. In Ausstellung zeigt ein weiteres Gemälde „Ich und Stalin“.  Irgendwo steht ihr Korsett, sie musste eine solche Stütze tragen, weil sie von einem schweren Autounfall ein Skelettleiden davontrug, das ihr zeitlebens ungeheure Schmerzen verursacht hatte.

Hammer und Sichel über dem Herd

 Ihre vielen ernsten Selbstporträts geben das Elend dieser Frau wieder, ihr Damen-Oberlippenbart ist deutlich zu sehen, den versteckte sie nicht auf den Gemälden. Ich kann nicht anders, ich muss das Fotografierverbot umgehen und aus der Hüfte schießen. Zu beziehungsreich ist, was hier versammelt ist, vor den Grundfarben Weiß, Blau, Rot und auch sonst klar. Ãœberall sind Blumen, die gibt es wie in vielen armen Ländern auch in Mexiko  in  verschwenderischer Fülle und rätselhafter Größe. Und im ganzen Hause stehen Skulpturen, kleine und Kleinstausgaben aztekisch-mexikanischer Kunst, die man zu Fridas Zeiten begann auszugraben. Vor dem Haus hatte sie sich eine Art Klein-Pyramide aus Zement errichten und rot anstreichen lassen und die Stufen mit Skulpturen bedeckt.  Fridas Küche – in Blau-Weiß gehalten. Auf der weißen Wand wurden mit kleinen Steinchen Muster „gemalt“ Aus dem gleichen Material gelegt steht das Wort „Frida“ über dem Herd. Sowjetplakate - Hammer und Sichel in vielen Varianten - schmücken die Wand. Das Ehepaar Frida Kahlo und Diego Riviera (der berühmte Maler und  Schöpfer riesiger Wandgemälde, die als typisch mexikanisch gelten) war befreundet mit dem Gründer der Roten Armee Leo Trotzki, der hierher vor Stalin emigrieren musste. Und man verfeindete sich über der Frage, wie Stalin zu bewerten sei. Was mögen Frida und Diego gedacht haben, als in ihrer Nachbarschaft – ein paar Ecken weiter - Trotzki dann mit einem Eispickel erschlagen wurde? In Vitrinen sind die Bücher zu besichtigen, die weltweit über die Künstlerin erschienen sind. „Guck mal, eine deutsche Biografie“, sagt der Mann zu seiner Gattin. Dass es sich um ein DDR-Druckerzeugnis handelt, bemerken sie wohl nicht einmal.

 Frida – ein Opfer der US-Invasion in Guatemala

 Die Erzstalinistin Frida Kahlo musste früh sterben, denn sie hatte entgegen des ärztlichen Rates an einer Demonstration gegen die USA-Invasion in Guatemala teilgenommen, was ihr einen tödlichen Schlag versetzte. Weil der demokratisch gewählte linksgerichtete Präsident Guatemalas ein paar Reformen durchgeführt hatte, welche die Allerärmsten seines Landes entlasteten,  wurde er von der westlichen Supermacht, die von hier aus gesehen im Norden liegt, gestürzt. So einfach kann das im demokratischen Leben zugehen. Während der Protestkundgebung gegen diese arrogant-mörderische Politik befiel den geschwächten Körper der Malerin eine Lungenentzündung, von der sie sich nicht mehr erholte.

 Bunt wie der mexikanische Tod

 Nicht ihr Tod, aber „d e r Tod“ wird gefeiert in ihrem Garten. Vor blauer Wand hängen Folklore-Gerippe in vielen Größen. Wir sind in Mexiko, dem Land, das einen lebendigen Umgang mit dem Tod pflegt und ihn keineswegs schwarz anmalt. Im Garten wurde eine Sonderschau aufgebaut, lebensgroße Gerippe, noch in Arbeitskleidung, Ärzte, Sekretärinnen und andere Berufe. Sie grinsen sich gegenseitig an in ihrer schwungvollen Reglosigkeit. Der Tod ist in allen Farben lackiert. Zwischen den entfleischten Gestalten, den knallbunten Totenschädeln  stehen Blumen, Schmetterlinge, Bierflaschen und Früchteschalen. Das ist eine Art Erntedankfest-Altar. In Leipzig steht über dem Eingang zum Hauptgebäude der Anatomie: „Hier dient der Tod dem Leben“. In Mexiko dient das Leben dem Tod.

                                                                                 Ramirez

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